Ist Alleinarbeit erlaubt? (Teil 2) – Hilfen zum Einschätzen und Bewerten

| Marc Schlüter | Sicherheit, MEBEDO

Alleinarbeit Notsignal

Welche Hilfsmittel und Regelwerke stehen mir zur Verfügung, um die oft in Unternehmen auftauchende Frage zu beantworten:

„Dürfen Beschäftigte allein arbeiten oder eine spezielle Arbeit allein verrichten?“

Besonders in Betrieben mit Bereitschaftsdiensten, Servicetechnikern oder auch bei Kundendiensten taucht allzu oft die Fragestellung auf, ob der Monteur oder Techniker die beauftragte Arbeit allein ausführen darf. Die Sorge, dass ein verunfallter Mitarbeiter gegebenenfalls nicht zeitnah notfallmedizinisch versorgt werden kann, liegt auf der Hand.
Für den Unternehmer gilt, wie vom ArbSchG in § 5 gefordert, die zu erwartenden Arbeitsbedingungen zu beurteilen und entsprechende Schutzmaßnahmen daraus abzuleiten. Es ist also auch hinsichtlich der „Alleinarbeit“ eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

Was ist denn nun genau mit Alleinarbeit gemeint?

Die DGUV Regel 100-001 erläutert den Begriff der Alleinarbeit unter Punkt 2.7 „Gefährliche Arbeiten“. Dort heißt es:

„Alleinarbeit liegt vor, wenn eine Person allein, außerhalb von Ruf- und Sichtweite zu
anderen Personen, Arbeiten ausführt.“

Eine Einschränkung oder gar ein Verbot von Alleinarbeit ist damit in den Regelwerken nicht beschrieben.
Alleinarbeit ist, mit einigen Ausnahmen, grundsätzlich zulässig, solange es keine gefährliche Arbeit ist. Die erwähnten Ausnahmen sind:

  • Jugendliche und schwangere Frauen
  • Mitarbeiter mit chronischen Erkrankungen (Anfallsleiden)
  • Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen
  • Mitarbeiter mit Verdacht auf eine Suchterkrankung
  • Mitarbeiter mit erhöhten Gesundheitsrisiken (z. B. Vorerkrankungen, körperlichen Einschränkungen)

Der Unternehmer muss also im Vorfeld beurteilen, ob eine gefährliche Arbeit vorliegt.
Die DGUV Vorschrift 1 § 8 „Gefährliche Arbeiten“ stellt hier klar:

„(2) Wird eine gefährliche Arbeit von einer Person allein ausgeführt, so hat der Unternehmer über die allgemeinen Schutzmaßnahmen hinaus für geeignete technische oder organisatorische Personenschutzmaßnahmen zu sorgen.“

Beispiele für gefährliche Arbeiten werden in der DGUV Regel 100-001 genannt. Interessant ist hier, dass Tätigkeiten an elektrotechnischen Einrichtungen oder Betriebsmitteln nicht erwähnt werden. Elektrotechnische Arbeiten sind demnach, bei Beachten der anerkannten Regeln der Technik und der Anwendung der 5 Sicherheitsregeln durch Elektrofachkräfte oder elektrotechnisch unterwiesenen Personen nicht als gefährliche Arbeiten einzustufen. (siehe VDE 1000-10, VDE 0105-100 „Arbeitsmethoden“)

Der Auswahlverantwortung des Unternehmers und der Fachverantwortung der Elektrofachkräfte ist also dringend die gebührende Beachtung zu schenken. (DGUV Vorschrift 1 § 2 und DGUV Regel 100-001 Punkt 2 „Grundpflichten des Unternehmers“ sowie DGUV Vorschrift 1 § 3 und DGUV Regel 100-001 Punkt 3 „Pflichten der Versicherten“)
Die DGUV Regel 100-001 definiert wie folgt:

Gefährliche Arbeiten sind solche, bei denen eine erhöhte Gefährdung aus dem Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeit, den verwendeten Stoffen oder aus der Umgebung gegeben ist, weil keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können.“

Wird im Zuge der Gefährdungsbeurteilung (ArbSchG § 5) festgestellt, dass eine gefährliche Arbeit vorliegt, ist diese über eine Risikoermittlung zu bewerten und weitergehende Schutzmaßnahmen müssen eingeführt werden. (z. B. ständige Überwachung, Personen-Notsignal-Anlagen). Die DGUV Regel 112-139 „Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen“ ist bei der Risikoermittlung anzuwenden.

Kurz gesagt:

Alleinarbeit ist grundsätzlich nicht untersagt.
1. Im Vorfeld sind die Gefährdungen zu beurteilen. (ArbSchG § 5 sowie ArbSchG § 10 Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen)
2. Arbeitsplätze beachten (ArbStättV 3.2 Anordnung der Arbeitsplätze)
3. Handelt es sich bei der Tätigkeit um eine gefährliche Arbeit? (DGUV Regel 100-001)
4. Dann ist eine Risikoermittlung durchzuführen. (DGUV Regel 112-139)
5. Ergibt die Ermittlung ein nicht akzeptables Risiko oder können Maßnahmen zur Risikominderung nicht umgesetzt werden, ist eine Alleinarbeit nicht zulässig.

Gesetze und Regelwerke

ArbSchG § 10 Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen
ArbStättV 3.2 Anordnung der Arbeitsplätze
DGUV Vorschrift 1 – Grundsätze der Prävention
DGUV Regel 100-001 – Grundsätze der Prävention
DGUV Regel 112-139 – Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen
DGUV Regel 212-139 – Notrufmöglichkeiten für allein arbeitende Personen
• DIN VDE V 0825-1: 2019-09
Überwachungsanlagen – Drahtlose Personen-Notsignal-Anlagen für gefährliche Alleinarbeiten
Teil 1: Geräte- und Prüfanforderungen
• DIN VDE V 0825-11: 2016-08
Überwachungsanlagen – Drahtlose Personen-Notsignal-Anlagen für gefährliche Alleinarbeiten
Teil 11: Geräte- und Prüfanforderungen für Personen-Notsignal-Anlagen unter Nutzung öffentlicher Telekommunikationsnetze


Alleinarbeit im Büro (Teil 1)

(25.10.2021, Katja Köhler)

Alleinarbeit im Büro

Spätnachmittag in der MEBEDO Akademie in Montabaur. Ich sitze am Rechner und schreibe noch ein paar E-Mails.

Wie erwartet kommt unser Chef Stefan Euler in Montabaur an, da er am nächsten Tag ein Seminar hält. Wie immer bereitet er schon am Vortag den Raum vor, mit den unzähligen Materialien für die Teilnehmenden.

Oh, Katja, ich sehe, du bist allein. Dann müssen wir aber noch eine Gefährdungsbeurteilung für Alleinarbeit erstellen.“, sagt er eher neckisch als ernst.

Dennoch springe ich darauf an: “Eine was? Was ist denn eine Gefährdungsbeurteilung für Alleinarbeit?

Wenn du alleine im Büro bist, dann sind die möglichen Gefahren bei der Arbeit anders zu bewerten. Denn es ist ja beispielsweise niemand in Sicht- oder Rufweite, der dir hilft, wenn du dich versehentlich verletzt.

Was soll mir denn groß passieren hier? Ich kann mir ja noch nicht mal den Finger in der Wählscheibe vom Telefon einklemmen 😉!“

Gefährdungsbeurteilung für Alleinarbeit

Ja, das stimmt schon. Für deine Arbeit, hier im Büro, wird da sicher nicht viel zu beachten sein. Aber es geht um Alleinarbeit im Allgemeinen. Es gibt die Vorgabe aus unterschiedlichen Regelwerken, insbesondere dem Arbeitsschutzgesetz z. B. §§ 5, 6 wie auch der DGUV Regel 112-139 in Verbindung mit der DGUV Information 212-139, nach der für jede Person, die allein arbeitet eine Gefährdungsbeurteilung erstellt werden muss. Im Idealfall ergibt sich dann, dass es keine Gefährdung gibt. Aber wenn man beispielsweise an Personen denkt, die Produktionsmaschinen bedienen, und dabei, warum auch immer, ganz allein sind – weder in Ruf- noch Sichtweite anderer Personen -, dann sind die Risiken deutlich höher.

Da hatte ich noch nie drüber nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. Sofort kamen mir Bilder in den Kopf von jemandem, der sich irgendwie verletzt und dann hilflos am Boden liegt, weil niemand da ist.

Wenn man es richtig macht, dann werden alle möglichen Gefahren aufgelistet. Daraus ergeben sich dann erforderliche Schutzmaßnahmen, um die Risiken zu minimieren. Wenn also der Zugführer im ICE alleine in seinem Cockpit sitzt, dann müssen entsprechende Sicherheiten gegeben sein, dass er nicht unbemerkt ohnmächtig werden kann.

Ja, kapiert. Das ist ja ein enorm wichtiges Thema, das praktisch überall Beachtung finden sollte. Danke für die Lehrstunde, lieber Stefan. Jetzt gehe ich mit anderem Blick durch die Welt.

Es ist wirklich erstaunlich, wie präsent und wichtig Sicherheitsthemen sind. Auch über die Elektrosicherheit hinaus.

Zurück

Weitere Seminare zum Thema

R15 – Gefährdungsbeurteilung elektrischer Arbeitsmittel / Anlagen und Tätigkeiten

Kenntnisse zur Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen (GeBe) für die Elektrotechnik unter Berücksichtigung relevanter Regelwerke

Seminar ansehen

Seminare Jetzt anrufen Kontakt
Öffnungszeiten

Mo. – Do.: 8:00 – 16:00 Uhr
Fr.: 8:00 – 14:00 Uhr