Weisungsrecht und Führungsverantwortung

| Stefan Euler | VEFK, Rechtssichere Organisation Elektrotechnik

Führungskraft Verantwortung

Verantwortungsträger im Arbeitsschutz

Die Aufgaben und Pflichten im Bereich des Arbeitsschutzes werden in Deutschland seit 1996 im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) geregelt. Durch die in den modernen Arbeitsschutzvorschriften eingeräumten Entscheidungsspielräume, der so genannten Deregulierung, wird den Unternehmen mehr Eigenverantwortung für die Durchführung der Maßnahmen zur Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten gegeben.

Fakt: Die Unternehmerverantwortung steht im Vordergrund!

Allerdings trifft sie die obersten Führungsebenen nicht alleine. Denn außer den „geborenen Pflichtigen“, wie Juristen diese Leitungspersonen bis hin zu Werksleitern nennen, werden noch weitere Führungsebenen – als die „gekorenen Pflichtigen“ – in die Verantwortung genommen. Das Ausmaß der Verantwortung der mittleren und unteren Führungskräfte ist an die Aufgaben und Pflichten gebunden, die ihnen übertragen sind. Eine gewisse Fürsorgepflicht ist stets vorhanden, sofern eine Weisungsbefugnis besteht. Umgekehrt bleibt ein Stück Umsetzungsverantwortung bei der obersten Leitung, wenn Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind.

Achtung:

Delegiert wird immer nur die Handlungsverantwortung, dies gilt für interne wie auch nach extern (Einkauf von Dienstleistungen) delegierte Aufgaben. Die Aufsichts- und Kontrollverantwortung bleibt immer beim Delegierenden! Diese Kontrollverantwortung sollte schriftlich nachweißbar sein, zum Beispiel in Form von Begehungsprotokollen oder Kalendereinträgen.

Konsequenzen für die Führungsebene

Die Deregulierung vieler Vorschriften fordert konsequenterweise immer stärker die Eigenverantwortung des Unternehmers. Dieser muss sich selbst bewerten, denn der Gesetzgeber gibt lediglich Schutzziele vor. Die Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu beseitigen oder auf ein „Mindestmaß“ zu verringern ist die Aufgabe des Unternehmers bzw. seiner Führungsebene.

Wie bestimmt der Betrieb dieses Mindestmaß?

Letztendlich müssen die Führungskräfte das vertretbare Maß einer zumutbaren Gefährdung ihrer Mitarbeiter bestimmen. Denn in ihrem Zuständigkeitsbereich sind sie direkt für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich. Um das Gefährdungspotenzial einzuschätzen und somit ihrer Fürsorgeverpflichtung gegenüber dem Mitarbeiter nachzukommen, ist die Gefährdungsbeurteilung ein geeignetes und gefordertes Instrument.

Gefährdungsbeurteilung

Seit Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (1996) ist davon auszugehen, dass mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen die Schutzmaßnahmen einschließlich der Unterweisung festgelegt werden. Gefährdungen werden ermittelt, bewertet und durch Maßnahmen beseitigt oder zumindest, auf ein vertretbares Restrisiko, abgemildert. In dieser Kette können verschiedene Führungs-ebenen Verantwortung tragen, je nach Umfang der Gefährdungen und der erforderlichen Schutzmaßnahmen, die an unterschiedliche Budgetverantwortung geknüpft sein können.
Als heikel bewerten Richter das Führungsverhalten, wenn eine Führungskraft einerseits auf fehlende Befugnisse zur Veranlassung geeigneter Schutzmaßnahmen verweist, andererseits aber ihren Mitarbeitern die davon betroffenen Arbeitsaufgaben zuweist!

Konsequenzen bei nicht Wahrnehmung

Die unzureichende Wahrnehmung der Führungsverantwortung, beispielhaft ist hier die nicht durchgeführte bzw. dokumentierte Aufsicht- und Kontrollpflicht zu nennen, kann bei Arbeitsunfällen, die zu Körperverletzungen führen, ein Straftatbestand sein, der entsprechende straf- und zivilrechtliche Folgen haben kann. Die nachfolgenden Fragestellungen geben sinngemäß die von einem Richter angewandte Systematik bei der Beurteilung eines Unfallgeschehens wieder:

  • Wurde der Mitarbeiter unterwiesen?
  • Wurde die Unterweisung verstanden?
  • Wurden die vermittelten Regeln auch gelebt?
  • Gab es eine Gefährdungsbeurteilung?
  • Enthielt diese die Gefährdung, auf die der Unfall zurückzuführen ist? Wenn nicht, handelte es sich um eine allgemein bekannte Gefährdung?
  • Gab es eine, aus der Gefährdungsbeurteilung resultierende, Arbeits- bzw. Betriebsanweisung in der die verbleibenden Restrisiken beschrieben wurden und anhand der die Mitarbeiter unterwiesen wurden?
  • Haben sich die Arbeitsbedingungen seit der letzten Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung wesentlich verändert? Wenn ja, wurde eine neue Gefährdungsbeurteilung vorgenommen?
  • Wurde der Mitarbeiter nach der neuen Gefährdungsbeurteilung erneut unterwiesen?
    • Wer war mit der Unterweisung beauftragt?
    • Wer war für die angemessenen Schutzmaßnahmen zu dieser Gefährdung verantwortlich?
    • Hat der Verantwortliche seine Aufsichts- und Kontrollpflicht nachweislich erfüllt?

Wie aus diesem Befragungsschema zu erkennen ist, steht im Mittelpunkt der richterlichen Untersuchung zunächst die Unterweisung und die Gefährdungsbeurteilung! Die Pflicht zur Unterweisung kann formell, mündlich oder nach betrieblicher Gepflogenheit übertragen worden sein. Dies bedeutet, dass eine Führungskraft ohne expliziten Auftrag für die Durchführung von Unterweisungen nicht automatisch von der Verantwortung dafür frei gesprochen wird. Vielmehr muss sie sich den Vergleich mit gleichrangigen Führungskräften des Unternehmens sowie typischen Aufgabenzuschnitten für ihre Position gefallen lassen. Mag die Verantwortung zur Durchführung von Unterweisungen bei einem Vorarbeiter noch fraglich sein, so ist sie es bei einem als Führungskraft eingesetzten Meister in der Regel nicht mehr.

Eine weitere Schlüsselerkenntnis ist: Wer Weisungen erteilt, übernimmt aus Sicht eines Richters automatisch Verantwortung (die Begriffe Weisungsrecht und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden), auch wenn er nicht mit den Arbeitsbedingungen einverstanden ist. Bei fehlender oder mangelhafter Gefährdungsbeurteilung und den daraus abgeleiteten Maßnahmen gibt es zwei Alternativen. Entweder ist die verantwortliche Führungskraft für ihre Aufgabe qualifiziert, dann kann man ihr ein Versäumnis unterstellen. Oder aber die Führungskraft erweist sich aus fachlichen oder persönlichen Gründen als ungeeignet, dann wird die Frage relevant, wer sie dafür ausgewählt und wer ihre Qualifikation überprüft hat.

Empfehlungen für verantwortungsbewusste Führung

  • Verantwortlichkeiten klären und transparent organisieren

    Die offizielle Übertragung von Pflichten im Arbeitsschutz entlastet die Führungsspitze ebenso wie die mittleren und unteren Führungsebenen. Denn Transparenz erleichtert es nicht nur, Lücken in der Verantwortung zu erkennen und zu schließen, sondern auch, die Verantwortung für konkrete Maßnahmen zuzuordnen, angemessene Befugnisse zuzuteilen und aus der Perspektive der unteren Führungsebenen notwendige Unterstützung anzufordern.

  • Arbeitsbedingungen seriös beurteilen und Schutzmaßnahmen umsetzen

    Wo die Beurteilung der Arbeitsbedingungen den Ausgangspunkt der Arbeitsschutzaktivitäten bildet, sind Gefahren und Schutzmaßnahmen einer andauernden Revision zu unter-ziehen Es muss ausgeschlossen werden, dass unbemerkt Gefahren entstehen oder, dass Schutzmaßnahmen fehlen beziehungsweise schlecht aufeinander abgestimmt sind. Nicht umsonst weist der Gesetzgeber in allen neueren Verordnungen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen eine Schlüsselrolle als Schutzzielvorgabe zu.

    Fakt: WER SCHREIBT DER BLEIBT!

  • Mitarbeiter angemessen auf Gefahren hinweisen

    Schriftliche Arbeits-/Betriebsanweisungen und mündliche Unterweisungen sind wichtige Instrumente der Mitarbeiterführung auf dem Weg zu sicherem und gesundem Arbeitsverhalten. Insbesondere die Unterweisungen sind hinsichtlich ihrer Angemessenheit immer an den Bedingungen vor Ort zu messen. Qualifikation und Sprachkenntnisse können Unterweisungen erleichtern oder erschweren. Die Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass alle betroffenen Mitarbeiter der Unterweisung folgen können. Bei Abweichungen von üblichen Sicherheitsstandards in besonderen Situationen sind die Unterweisungen den Umständen anzupassen.

  • Defizite beheben, anstatt sie zu dulden

    Jede Führungskraft wird die Beseitigung von Gefahren, die in ihrem Verantwortungsbereich auftreten, auch als ihre Angelegenheit ansehen, sobald sie über die dazu erforderlichen Befugnisse und Mittel verfügt. Als Schwachstelle erweist sich die Haltung von Führungskräften, auf Meldungen oder nachhaltige Mahnungen zu verzichten, wenn die Beseitigung durch andere betriebliche Stellen zu veranlassen oder durchzuführen ist. Wer immer wieder Verstöße oder Mängel feststellt, jedoch nichts dagegen unternimmt oder diese weiter meldet, übernimmt Verantwortung.

    Fakt: WER FRAGT DER FÜHRT!

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