Dritte Reise zum Krankenhaus Bilbassi im Senegal

| Michael Lochthofen | Prüfen & Praxis, Sicherheit

Gruppenfoto Krankenhaus Bilbassi

Im Herbst 2019 kam die erste Anfrage zur MEBEDO: Der Bilbassi e.V. betreut im Senegal seit über zehn Jahren ein Krankenhaus. Während der Jahre gab es an der Röntgenanlage und der Laborausrüstung immer wieder Überspannungsschäden, die sich im fünfstelligen Euro-Bereich befinden. Um das zu vermeiden, wurde in den folgenden Jahren die NSHV erneuert und eine USV-Anlage installiert.

 

Aktueller Einsatz

Bei der aktuellen Reise flogen Kirsten Rohlof (MEBEDO Akademie) und Michael Lochthofen (MEBEDO Consulting) zusammen mit anderen Mitgliedern des Bilbassi e.V. vom 19.-29.11.2024 in den Senegal. Die beiden Mitarbeiter/innen der MEBEDO-Akademie und -Consulting wurden freundlicherweise für eine Woche von der Firma freigestellt, um eine Prüfung der elektrischen Anlage durchzuführen.
Im Wesentlichen ging es bei dieser Reise um Wartung und Instandhaltung.
Ziel war es, die Endstromkreise der elektrischen Anlage zu prüfen: Die Endstromkreise und die Verteilungen der gesamten Anlage wurden seit der Inbetriebnahme 2009 bis 2011 noch nie geprüft.
Auch die Generatoren und die USV-Anlage benötigten eine Wartung, so wurde z. B an den Generatoren ein Ölwechsel vorgenommen.
Da für diese Arbeiten umfangreiche Abschaltungen nötig sind, wurde der Klinikbetrieb für 2 Tage eingestellt, und alle verbleibenden Patienten nach Dakar verlegt.

Kirsten bei der Datenaufnahme an einer Unterverteilung
Kirsten Rohlof bei der Datenaufnahme an einer Unterverteilung
Beim Austauschen der RCDs
Beim Austauschen der RCDs

Versorgungsstruktur des Krankenhauses

Das Krankenhaus besteht aus zwei Bauabschnitten und einigen Nebengebäuden. Jeder Bauabschnitt hat in jeder Etage mindestens eine Unterverteilung je Etage. So ergeben sich in den Bauabschnitten A und B bei drei Stockwerken 6 Unterverteilungen, zzgl. einiger kleinerer Verteilungen für Schwerpunkte wie Röntgenanlage, Wasseraufbereitung oder Gästeapartment. Jeder Bauabschnitt wird durch einen eigenen Hausanschluss mit jeweils 80 A versorgt. Die Nebengebäude (Kantine, Leichenhalle, Lager, Toilettengebäude) werden aus einer separaten Versorgung (Hausanschluss 3) versorgt.
Der staatliche Energieversorger SENELEC (Société nationale d’électricité du Sénégal) stellt an den Hausanschlüssen 1 und 2 jeweils ein TN-C-Netz mit 230/400 V mit 3 Außenleitern+(PE)N bereit. Der Hausanschluss 3 ist nur mit 230 V und einem Außenleiter ausgeführt.
Der bereitgestellte Neutralleiter ist von Seiten der SENELEC nicht als „sicher geerdet“ zu betrachten, weswegen 2022 auch eine einfache Erdungsanlage nachgerüstet wurde. Aufgrund der nicht gewährleisteten Erdung sind auch alle Sicherungsautomaten 2-polig bzw. 4-polig ausgeführt, da der Neutralleiter immer als aktiver und unter Spannung stehender Leiter betrachtet werden muss.
Die Leitungen von der NSHV zu den Unterverteilungen sind überwiegend 4-adrig ausgeführt, woraus sich dann ein TN-C-S-Netz ergibt. Die Endstromkreise sollten demnach auch alle drei- bzw. fünfadrig sein und über RCD 30 bis 300 mA geschützt sein.
Da die RCDs alle nur vom Typ AC waren, wurde ein präventiver Austausch vorgesehen, der durch die freundliche Unterstützung der Fa. Doepke ermöglicht wurde.

Eine Sache konnte vor Ort quasi nebenher erledigt werden: Mr. Keta, der als eine Art Hausmeister in der Klinik fungiert und sich um viele der Belange der Technik dort kümmert, wurde eingewiesen die RCDs ungefähr einmal im halben Jahr über die Test-Taste auszulösen. Eventuell kann dadurch erreicht werden, dass die neu eingebauten RCDs länger einwandfrei funktionieren als die Vorgängermodelle.

Der Stromerzeuger diente u.a. der Küche und den Kühlschränken. Er funktioniert seit Jahren nicht mehr.
Der Stromerzeuger diente u.a. der Küche und den Kühlschränken. Er funktioniert seit Jahren nicht mehr.

Die Prüfung

Es war klar, dass wir bei der Prüfung nicht die deutschen Maßstäbe und schon gar nicht die VDE 0100-710 für eine Wiederkehrende Prüfung in Krankenhäusern ansetzen können. Es gibt weder getrennte AV oder SV-Systeme, Bettenschienen oder IT-Netze für die OPs. Viel mehr gleicht die Stromversorgung einem Hotel: ein bis zwei Stromkreise pro Zimmer für Steckdosen (und Klimaanlage) und separat einen bis zwei Stromkreise für die Beleuchtung.
Leider fehlt komplett die Dokumentation, es war uns also in der kurzen Zeit nicht möglich, die Betriebsmittel den Stromkreisen zuzuordnen.
Wir beschränkten also die Prüfung auf:
• Sichtprüfung der Verteiler und Betriebsmittel
• Prüfung der Schutzleiterwiderstände und des Potentialausgleiches
• Prüfung der RCDs nach Austausch
• Messung der Schleifenimpedanz / des Netzinnenwiderstandes an den Zuleitungen der Verteilung.
Es war auch eine ungewohnte klimatische Belastung. Während es morgens um 8 Uhr dort recht trocken bei 22°C ist, steigt die Temperatur sehr schnell auf 35°C. Wenn dann der Wind dreht und vom Meer kommt, ist die Luft auf gesättigt feucht. Das fühlt sich dann an wie eine Bio-Sauna.

Lichtschalter im Handbereich.
Lichtschalter im Handbereich.

Prüfergebnisse

Es war zu erwarten, dass die Prüfung weder mängelfrei noch einfach wird.
Selbst das Austauschen der RCDs wurde zum Geduldsspiel, da die Leitungen in der Verteilung alle stramm gezogen, flexibel und ohne Aderendhülse sind. Ein nachträgliches Verpressen mit Aderendhülsen war aufgrund der dadurch viel zu kurzen Adern nicht möglich.
Ebenso haben wir festgestellt, dass es keinen Potentialausgleich im Gebäude gibt. Weder die Sauerstoffleitungen noch die Wasserleitungen sind irgendwo mit der Erdung verbunden.
An vielen Steckdosen und Leuchten sind die Schutzleiter nicht angeschlossen oder so stark korrodiert, dass der PE extrem schlecht war, und zum Teil sogar gar kein PE gemessen werden konnte. Die Regenzeit mit ihrer Feuchtigkeit und das minderwertige Installationsmaterial hinterlassen somit ihre Spuren.
Der andere große Mängelpunkt liegt im OP-Bereich. In der dortigen Verteilung sind 5 Sicherungsautomaten vor den RCDs abgegriffen, wozu diese Stromkreise dienen, konnte nicht festgestellt werden. Dies wird durch einen lokalen Elektriker durchgeführt.
In den OPs sind sämtliche Schutzleiter in den Steckdosen nicht angeklemmt. Auch der OP-Tisch ist nicht an den Potentialausgleich angeschlossen. Zusammen mit der Vermutung, dass hier auch die Stromkreise ohne RCD enden, besteht eine deutliche Personengefährdung. Der Gewinn an Versorgungssicherheit muss durch den Betreiber abgewogen werden.

Prüfung des Hausanschlusses „3“. Bei einem Netzinnenwiderstand von 0,7 Ω werden etwa 300 A Kurzschlussstrom erreicht. Die Netzspannung liegt meistens nur bei 200 bis 210 V.
Prüfung des Hausanschlusses „3“. Bei einem Netzinnenwiderstand von 0,7 Ω werden etwa 300 A Kurzschlussstrom erreicht. Die Netzspannung liegt meistens nur bei 200 bis 210 V.
Im OP sind nur die Deckenleuchten mit einem Schutzleiter verbunden. Zumindest die meisten.
Im OP sind nur die Deckenleuchten mit einem Schutzleiter verbunden. Zumindest die meisten.

Bewertung der Mängel

Nun wieder zurück in Deutschland kommt das schwierigste auf die Prüfer*innen zu: die Bewertung der Ergebnisse, zusammen mit Empfehlungen, wie weiter vorgegangen werden soll.
Eigentlich war die Ausgangsfrage ganz einfach: Kann jemand an einem elektrischen Schlag sterben, und kann das Krankenhaus wegen eines Fehlers in der elektrischen Anlage abbrennen? Das ist nur grundlegende Physik, und kann ganz losgelöst von irgendwelchen Normen oder Vorschriften betrachtet werden.
Der Teufel steckt allerdings im Detail. Es war klar, dass keine deutschen VDE-Vorgaben erfüllt werden können. Aber wie weit soll die Sicherheit denn gehen? Reicht es, einen RCD als Personenschutz einzusetzen, um die Abschaltbedingungen über den RCD zu erfüllen? Schutz durch automatische Abschaltung, also eine rechtzeitige Abschaltung bei einem Fehler gegen PE funktioniert nur bei angeschlossenem PE einwandfrei – was in vielen Stromkreisen gar nicht der Fall ist. Und selbst wenn ein PE vorhanden ist in der Anlage, sind die Fehlerschleifen oftmals zu schlecht, um eine Auslösung innerhalb von 0,4 Sekunden in den Endstromkreisen zu gewährleisten. Allerdings ist es auch in Deutschland erlaubt, den RCD zur Sicherstellung der Abschaltzeit innerhalt von 0,4 Sekunden zu benutzen. Wenn es aber so deutlich gezeigt wird, wie schnell RCDs unter schlechten Bedingungen (Korrosion, Staubbelastung, nicht gedrückte Test-Tasten) versagen können, fragt man sich, ob man sich tatsächlich auf den RCD als einzigen Garanten für den Schutz vor einer tödlichen Körperdurchströmung verlassen möchte. Oder ob die Fehlerschleife über den PE nicht besser entsprechend niederohmig sein sollte, um eine sichere und vor allem schnelle Auslösung zu garantieren?

Fazit

Abgesehen von diesen Betrachtungen müssen vorgeschlagene Lösungsmöglichkeiten vor Ort auch umsetzbar sein. Am besten mit Menschen vor Ort. Denn es ist immer sinnvoller, Material und Menschen aus dem Land dort zu verwenden, Menschen vor Ort als Hilfe zu haben um die Anlage sicher am Laufen zu halten.
Der Verein kann nicht jedes Mal eine Person aus Deutschland in den Senegal fliegen lassen, um etwas nach- oder umzurüsten. Leider ist es extrem schwierig Menschen vor Ort zu engagieren, die Zeit und vor allem auch das Fachwissen haben, um die erforderlichen Arbeiten durchzuführen.
Im Moment wird versucht, mit einem anderen Projekt dort vor Ort zusammen zu arbeiten, in dem junge Menschen zu Mechanikern und Elektrikern ausgebildet werden. So könnte eine wirkliche Win-Win Situation entstehen: Eine Anlage, die im Rahmen der Ausbildung als Arbeitsauftrag ertüchtigt werden kann, und für das Krankenhaus fachliche Hilfe bei der Umrüstung. Wir wünschen dieser Kooperation viel Erfolg. Wir behalten sie im Blick.

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